Rund ums Pferdemaul



1. Warum können Pferde Zahnprobleme haben?

In der freien Natur frisst das Pferd als Steppentier 14-16 Stunden am Tag hartes Gras. Auf diese Beanspruchung sind die Pferdezähne ausgerichtet. Im Zuge der Domestikation bekommen die Tiere immer weicheres und energiereicheres Futter. Dieses müssen sie häufig noch nicht mal alleine abbeißen und bedingt durch die höhere Verdaulichkeit auch weniger kauen. Dies führt dazu, dass sich die Zähne weniger abnutzen und ähnlich wie die Hufe einer regelmäßigen Pflege bedürfen.

 

2. Wie können Pferde dann in natürlicher Umgebung überleben?

In der freien Natur findet eine harte Auslese statt. Pferde mit schlechten Hufen können vor Ihren Feinden nicht schnell genug flüchten und Pferden mit schlechten Zähnen können die natürliche Nahrung nicht richtig verwerten, werden geschwächt und sterben im Extremfall an Mangel- oder Unterernährung. Unsere heutige Zuchtauswahl richtet sich allerdings nicht mehr nach diesen überlebenswichtigen Kriterien, sondern nach ganz anderen Auswahlkriterien wie z.B. Rittigkeit und Aussehen.

 

3. Warum sollte das Gebiss regelmäßig kontrolliert werden?

Empfindliche Pferde zeigen Probleme beim Reiten und werden maulig oder sie zeigen Probleme beim Fressen. Bei Schneidezahnproblemen können sie schlecht abbeißen. Bei Backenzahnproblemen können sie die Nahrung nicht richtig zerkleinern. Im Extremfall machen sie „Heuwickel“, dass sind zigarrenförmige Raufutterteile die sie ausspucken. Bei den Zuchtauswahlkriterien wird erst seit einigen Jahren wieder verstärkt auf die Zahngesundheit geachtet. Viele Jahrzehnte wurde sie stark vernachlässigt. Dies hat dazu geführt, dass es viele Pferde mit Zahnfehlstellungen, wie z.B. Über- oder Unterbiss gibt. Zusammen mit dem hochwertigen weichen Futter führt dies dazu, dass sich die Zähne nicht ordnungsgemäß abnutzen. So kommt es zur Bildung von Zahnkanten und – haken.

 

4. Wie können sich Haken oder Zahnfehlstellungen auswirken?

Die Zahnkanten sind spitze Zahnzementstücke die zur Zunge oder zur Backe und den Lippen hin entstehen. Zahnhaken sind spitze Zahnbestandteile die Richtung Gaumendach oder Richtung Zungenboden stehen. Die Zahnkanten verletzen häufig die Wangen und die Zungenschleimhaut. Wenn es nun durch die Verschnallung der Trense oder eines anderen Zaumzeugs zum Druck der Wangenschleimhaut auf die spitzigen Zahnkanten kommt, führt dies zu einem akuten Schmerz. Dieser führt dazu, dass das Pferd sich nicht richtig lösen kann und dadurch Verspannungen im Kopf-Halsbereich auftreten. Diese können sich in ungünstigen Fällen sogar über die gesamte Wirbelsäule fortsetzen. Auch wird ein Pferd mit Zahnkanten und Zahnhaken nicht richtig kauen, da es sich dabei unter Umständen kleine Verletzungen im Maul zuzieht.

 

5. Welche gesundheitlichen Probleme können entstehen?

Durch die Zahnkanten und Zahnhaken ist dem Pferd eine natürliche Kaubewegung nicht mehr in vollem Umfang möglich. Dadurch wird die Nahrung nur ungenügend zerkleinert und kann nicht mehr vollständig aufgeschlossen werden. Durch den Nährstoffmangel kommt es zu Fehl- oder Mangelernährung. Zum anderen versucht sich das Pferd den Reithilfen zu entziehen, da sie ihm Schmerzen bereiten. Dies führt zu Verspannungen im Gesamten muskulären Bereich, die sich sehr diffus äußern können.

 

6. Wie kann ich als Pferdebesitzer erkennen wann das Pferd Probleme hat?

Für den Pferdebesitzer ist es je nach Empfindlichkeit des Pferdes unter Umständen schwer die Zahnprobleme zu erkennen. Daher wird eine jährliche Kontrolle der Zähne empfohlen. Auf jeden Fall sollte bei Umfangsvermehrungen am Kopf und bei Fressproblemen eine Fachperson hinzugezogen werden. Die Probleme beim Fressen können sich folgender Maßen äußern:

     

    • Vermeiden oder zögerliches Abbeißen von harter oder saurer Nahrung wie z.B. Karotten oder Äpfeln.
    • Das Pferd braucht z.B. für die gleiche Menge Raufutter, ähnlicher Qualität deutlich länger als zuvor.
    • Ausspucken von zigarrenförmigen oder klumpenartigen Futterresten.
    • Außerdem deutet stark stinkender einseitiger Nasenausfluss auf eine Entzündung der Kieferhöhle hin der häufig eine Zahnwurzelentzündung voraus geht.
    • Auch deutet ein unangenehmer Geruch aus dem Maul auf ein Zahnproblem hin. Viele Reiter bemerken jedoch als erste Symptome, dass das Pferd schlechter ans Gebiss geht. Es versucht sich den reiterlichen Hilfen zu entziehen und schlägt eventuell sogar mit dem Kopf.

     

7. Was für einen Fachmann brauche ich dafür?

Damit es erst gar nicht zu solchen Problemen kommt sollte die Maulhöhle beim jungen und alten Pferd alle 6-12 Monate und beim mittelalten Pferden jährlich kontrolliert werden. Dies kann durch einen Pferdetierarzt oder einen Pferdedentalpraktiker geschehen. Dabei ist zu beachten, dass eine vollständige Untersuchung der Maulhöhle häufig nur in Sedation erfolgen kann. Dazu gehört dann das Ausspülen des Mauls, das Abtasten aller Zähne sowie das Anschauen, welches im Backenzahnbereich auch mit Hilfe eines Spiegels geschehen sollte.

 

8. Worauf sollte man beim Kauf eines Pferde hinsichtlich der Zähne achten?

Im Rahmen einer Ankaufsuntersuchung erfolgt die Untersuchung der Maulhöhle ohne eine Sedation des Pferdes und sollte aus Gründen einer erhöhten Unfallgefahr ohne Maulgatter durchgeführt werden. Daher ist die Untersuchung der Maulhöhle nur eingeschränkt durchführbar. Es können sichtbar auf jeden Fall die Schneidezähne, die Lade mit den Hengstzähnen und eventuell Wolfszähne sowie Teile der ersten Backenzähne beurteilt werden. Außerdem können von außen die Außenkanten der Oberkieferbackenzähne sowie Veränderungen am Schädel ertastet werden. Es sollte auf eine gerade Linie der Schneidezähne ohne Einbisse der Eckzähne geachtet werden. (siehe Bild) Auf oder absteigende Diagonalbisse deutet auf ein krankhaftes Geschehen im Backenzahn oder Kiefergelenksbereich hin. Bei Pferden die mit Zaumzeug mit Gebissen bewegt werden können Wolfszähne ein Problem darstellen.

9. Entzündliche Veränderung der Schneidezähne

 

Bei dieser Erkrankung sind meistens die Schneidezähne, manchmal auch die Hengstzähne und selten die ersten Backenzähne betroffen. Die englische Abkürzung EOTRH steht für: Equine odontoclasic teeth resorption and hypercementosis. Im Deutschen: Equine odontoklastische resorptive Läsionen und Hyperzementose.

Hierbei kommt es anfangs zu vermehrten Tätigkeit der Knochen abbauenden Zellen, der Odontoklasten. Der Kieferknochen ist wie alle Knochen im Körper einem ständigen Auf-und Abbauprozess unterworfen. Aus noch nicht genauer bekannten Gründen wird nun das knöcherne Zahnfach vermehrt abgebaut ohne dass gleichzeitig ein knöcherner Aufbau stattfindet. Der Pferdezahn hat im Gegensatz zum menschlichen Zahn, die Möglichkeit vermehrt Zahnzement zuzubilden. Dieses tut er jetzt um in dem sich auflösendem Zahnfach halt zu finden. Dabei kommt es teilweise zu tumorartigen Auftreibungen der Frontzähne, die unter Umständen so massiv sein können, dass das Pferd die Lippen nicht mehr vollständig schließen kann. Bei diesem Krankheitsprozess kommt es zu unterschiedlich stark ausgeprägten Entzündungserscheinungen. Teilweise treten starke eitrige Entzündungen der Zähne und des Zahnhalteapparates und eine Parodontose auf. Betroffen sind vor allem Pferde die älter als 20 Jahre alt sind.

 

Was kann man therapeutisch tun?

 

Wichtig ist es den Druck von den Frontzähnen zu nehmen, da erhöhter Druck auf sie die Erkrankung beschleunigt. Daher empfehle ich die Schneidezähne alle 3 bis 6 Monate intensiv zu kürzen. Zur Stärkung des Immunsystem können Heilpilze und homöopatische Arzneimittel eingesetzt werden. Im Extremfall müssen alle befallenen Zähne gezogen werden. Dieser Schritt ist sowohl für Pferd als auch für die Besitzer sehr einschneidend. Ich kann Ihnen aber versichern, dass es allen Pferden, bei denen ich die Totalextraktion der Schneidezähne durchgeführt habe, danach deutlich besser ging als zuvor. Durch rupfen mit den Lippen und dem Gaumen schaffen sie es bis zu 5cm kurzes Gras zu fressen. Wichtig bei den Pferden mit einer Schneidezahntotalextraktion ist es, dass die Backenzähne gut ausbalanciert sind, da auf ihnen und dem Kiefergelenk dann mehr Druck lastet.

 

10. Anmerkung zur Sedation bei Pferden

Zahnbehandlungen beim Pferd werden immer häufiger durchgeführt. Zu Zeiten als der Dorfschmied noch die Zähne behandelt hat, sowohl die des Pferdes als auch die des Besitzers war man mit der Schmerzausschaltung noch nicht so weit.
Neben Nasenbremse, Fußfesseln oder Alkohol standenkeine adäquaten Mittel zur Verfügung. Die Zeiten haben sich geändert und viele Menschen möchten ohne Schmerzausschaltung keine Zahnbehandlung haben. So verwundert es doch ein wenig, dass ich immer wieder gefragt werde ob es nicht möglich sei Zahnbehandlungen auch ohne Sedation vorzunehmen.

Aus diesem Grund möchte ich an dieser Stelle einige Aspekte zur Sedation und Zahnbehandlung richtig stellen, und Missverständnisse ausräumen.
Mit zwei Tatsachen haben wir uns auseinander zu setzen, wenn die Frage einer
Zahnbehandlung beim Pferd ansteht.

 

 

 

 

Sedativa (Medikamente zur Sedation)

Pschyrembel, humanmedizinisches Wörterbuch
Sog. Beruhigungsmittel: Psychopharmaka, die relativ unspezifisch eine dämpfende Wirkung
auf Funktionen des ZNS (zentrale Nerven System) haben.
Wörterbuch der Veterinärmedizin
Sedation: Beruhigung, Dämpfung

Somit steht fest:
• bei einer Sedation handelt es sich nicht um eine Narkose, wie häufig fälschlicher Weise angenommen wird. Es handelt sich um eine Beruhigung und eine die Angst lösende Medikation,

Ein weiterer Faktor ist:
• Das Pferd ist und bliebt ein Fluchttier

 

Als häufigste Sorge wird vom Besitzer genannt, dass das Pferd bei der Sedation umfallen könnte. Dieses tritt mit einer Wahrscheinlichkeit von unter einem Prozent ein, vorausgesetzt man wählt die entsprechend richtigen Medikamente in der richtigen Dosierung. Pferde sprechen je nach Typ und Charakter unterschiedlich auf die einzelnen Sedativa an. Es sieht häufig so aus, als würden die Pferde das Gleichgewicht verlieren, solange aber der Untergrund griffig genug ist, können sie ihr Gewicht ausbalancieren. Sie nehmen sogar häufig eine Ruhestellung ein, indem sie ein Hinterbein in die Entspannungshaltung bringen. Hinzu kommt, dass mir wenig Pferde in absoluter Angst und Panik begegnen, die ich schon zuvor in Sedation behandelt habe.

Eine weitere mögliche Sorge der Besitzer ist, dass die Pferde danach in ihrer Psyche beeinträchtigt sein könnten.
Da wir den Patienten nicht direkt fragen können bleibt uns nur die Beobachtung. Sobald die Sedierung nachlässt fangen die Pferde in der Regel an zu fressen und zeigen in der Gruppe wieder ein normales Verhalten. Zugegeben sind dies eher unsicherere Parameter der Beurteilung von Nebenwirkungen.

Einige Patienten brauchen wesentlich länger zur Rekonvaleszenz. Dies ist in erster Linie von der individuellen Struktur, sprich der Ausprägung des Fluchtinstinkts, sowie der jeweiligen Verfassung des Patienten abhängig. Ein Pferd welches in völligem Ruhezustand sediert wird „verkraftet“ die Sedierung wesentlich besser, als ein Pferd welches unter Stress steht.
Mit den uns heute zur Verfügung stehenden Medikamenten ist es jedoch durchaus möglich auf fast (Betonung liegt auf FAST – es gibt durchaus Ausnahmen) alle Gemütszustände des Pferdes zu reagieren. Selbst bei einer verlängerten Erholungsphase sprechen wir nicht von Tagen, sondern Stunden. In der Regel ist den Pferden am folgenden Tag von der Behandlung mit Sedativa nichts mehr anzumerken.

Man sollte sich einfach auch vor Augen führen, was es auslöst ein Pferd mit Zwangsmaßnahmen
in Angst und Panik zu versetzen. Die Auswirkungen auf die Psyche der Tiere in wachem Zustand mit Maulgatter und Zahnmaschine drangsaliert zu werden, führt viel eher zu Nebenwirkungen.
Der Zahnarzt fordert uns auf den Mund weit aufzusperren, und wir tun es – wenn auch widerwillig.
Einem Pferd zu erklären, dass es das Maul nicht mehr schließen darf dürfte relativ schwierig sein.
Mit eingesetztem Maulgatter in Panik über den Hof rennend ist für alle Beteiligten ein äußerst einschneidendes Erlebnis. Ganz zu schweigen von der eigentlichen Untersuchung. Nur mit eingesetztem Gatter ist es möglich die Maulhöhle sicher, gründlich, visuell und tastend zu untersuchen.

Spätestens beim Einsetzen der Raspel kommt es zu Vibrationen im Schädel. Die Größe des Kopfes sagt dabei nichts über den Empfindlichkeitsgrad aus. Im Gegenteil, der Schädel des Pferdes ist mit wesentlich mehr und größeren Hohlräumen, und damit mit mehr Resonanzkörpern ausgestattet als der menschliche Schädel.
Und auch bei der Bearbeitung mit der Raspel spielt die Sicherheit wieder eine große Rolle.
Bei einem nicht sedierten Pferd ist jederzeit mit Abwehrbewegungen zu rechnen. Dabei kann es leicht zu erheblichen Verletzungen im gesamten Maulhöhlenbereich kommen, die durchaus lebensbedrohlich sein können. Ich will nicht behaupten, dass dies niemals unter Sedierung passieren kann, aber das Risiko ist dann doch erheblich gemindert.

 

Für jede Tätigkeit muss man Nutzen und Risiko gegeneinander abwägen.

Für mich ist dabei der Nutzen einer Sedierung deutlich höher einzustufen als ein mögliches Risiko.

• Angst nehmend und Fluchtinstinkt weitgehend aufheben
• Sichere Diagnostik und nicht nur einen Blick erhaschen
• Sicheres Arbeiten für Patient, Besitzer und Tierarzt und damit deutlich schneller und gründlicher möglich
• Erheblich geringeres Verletzungsrisiko
• Die Psyche wird meinen Beobachtungen nach nicht „strapaziert“, im Gegensatz zur Anwendung von Zwangsmaßnahmen

Für mich ist die Zahnbehandlung des Pferdes mit Sedierung nicht nur eine Ansichtssache. Wir sind verpflichtet unseren Schützlingen nach bestem Wissen und Gewissen unnötige Leiden zu ersparen.
Damit bin ich meinem Patient Pferd die Sedierung bei der Zahnbehandlung unbedingt schuldig.